28 OKTOBER, BRÄUNER HOF

desiree palmen
28. oktober 1997 16.00 bis 17.00 café bräunerhof
augenzeugin: judith fischer


"Ich brauche ein Publikum, Hochwürden, ein Bedürfnis, das Sie als Priester zweifellos verstehen werden. Das Publikum ist der Augenzeuge, ohne ein Publikum ist jede Handlung von vorneherein nichtig, das wahrnehmende Publikum ist der Beweis der handelnden Existenz."
Lilian Faschinger: Magdalena Sünderin (1995) S.14

sie kommt rein. sie hat ein kleid mit einer schärpe über die schulter. das kleid ist bunt. alles um sie herum hat sich nicht verändert. ich unterbreche meinen blick beschließe in sequenzen zu sehen. der kellner bringt kaffee. neben mir jugenliche vom land auf wienwoche. meine wiener würstel kommen mit kren und pepsi. die schrift auf der seite im grünen buch wie eine immer wieder abgesetzte schiefe linie. durch das fenster die oberlichte der fassade des café bräunerhof kann ich von meinem platz aus die worte "galerie für alte und junge künst" lesen. ich spüre d's nervosität. Ich bin nervös und spüre meine nervosität (komplizin). einen film unterbrechen. ihn ansehen. frischgerissener kren. da ist alles andere. es ändert sich nicht und warum habe ich die befürchtung die veränderung zu sehen? sichtschatten. da ich kurzsichtig bin sitzt desiree viel zu weit weg. ich kann sie kaum genau sehen. sie trinkt rotwein. der wein wird einen belag auf ihrer zunge hinterlassen. sie dreht mir die vorderseite ihres oberkörpers her. ich fühle mich wie zu begin einer beobachtungsserie. nicht wie eine augenzeugin eher wie eine detektivin. da ich die tischfläche nicht sehe kann ich nur die den tisch umgebende leute sehen und desirees oberkörper. am nebentisch sitzt ein junger jus-student. ich lese in der beilage der presse über die oberste design-chefin bei "hennes und mauritz". die schriftstellerin gundi feyrer taucht plötzlich auf und küßt zwei menschen mann und frau überschwänglich. sie hat neu schwarz gefärbte lange haare. desiree raucht. draußen ist graues licht. ich setze die brille auf um schärfer zu sehen. es ist kein riß da. desiree wirkt wie herausgelöst oder genau eingepaßt. ich sehe von hier aus auch nicht den übergang des kleides zum tischtuch. sie liest zeitung. distinguiert sein heißt tolerieren. exzentrik tolerieren. alle menschen sind in ihre gespräche und ihre nächste umgebung involviert. gibt es differenz ohne rezeption? ein neben desiree sitzendes pärchen bemerkt etwas. schaut. ein weiblicher gast fragt den kellner. der kellner reagiert nochalant. das nikotingelb an den wänden und der decke im raum wirkt warm. draußen wird das licht noch grauer. ich sehe desiree nicht mehr. sie verschwindet hinter dem rücken von jemanden. man läßt sie gewähren wie ein kind wie eine verrückte. man läßt sich nichts anmerken. so als wäre nichts. ich sehe an einer wand einen schattenriß von niki lauda. daneben eine bunte attersee zeichnung. das geräusch der machine die die kaffeebohnen mahlt. keine kamera in sicht. alles hier ist transitorisch vorläufig fließend geht weiter. desiree beugt den arm in ein dreieck in kinnhöhe und faßt sich hinten an den hals. zaudert? sie ist jetzt sehr ruhig. verhält sich jetzt so als wäre sie nicht da. ein junger typ neben ihr hat eine mappe voller zeichnungen. ein älterer mann der auch in der nähe sitzt sieht beim aufstehen desiree genauer an und bekommt rote ohren (kausaler zusammenhang). sie benimmt sich ganz selbstverständlich. sehen kann ich nichts genaues. deduktion ist hier keine methode. ich glaube der mann mit dem gundi feyrer spricht ist der droschl lektor (götz?). er sieht zerfurcht aus und auch treuherzig. etwas übergehen. etwas wird übergangen. alles auch das exzentrische und verstörende geht wieder vorbei sagt das distinguierte. das exzentrische erschöpft sich und gibt auf. das exzentrische wird destruktiv weiß die toleranz. während ich beobachte und schreibe werde ich selber ein objekt der beobachtung für die anderen. das schreiben ist als körperliche bewegung sichtbar. der jus-student arbeitet jetzt mit gelbem leuchtstiftmarker. das pärchen am nebentisch geht und wird duch ein neues pärchen ersätzt. die meisten hier nehmen um sich gar nichts wahr sind eingesunken in ihre eigenen zusammenhänge und gespräche. nur die touristen sind auf der suche nach optischem futter und wollen daraus etwas ableiten. alle personen im café sind in herbst und winterfarben gekleidet. gedeckte farben friedliche farben ruhige farben wie braun blau und beige grünlich anthrazit. desiree ist bunt kariert. draußen ist es noch grauer geworden. kinder bemerken d's kleid/tischtuch und bleiben im vorbeigehen stehen schauen gehen dann weiter. desiree ist konzentriert. sie vernachlässigt es reaktionen um sich zu bemerken. ihr verhalten drückt eine sicherheit aus. denke an das märchen "des kaisers neue kleider". beim gehen auf die toilette treffe ich eine frau die mir bekannt vorkommt und es ist tatsächlich eine alte bekannte die ich seit zehn jahre nicht mehr gesehen habe. sie ist jetzt turnusärztin in lainz und hat geheiratet. nach dem gespräch sehe ich nur noch wie desiree aufräumt und noch im sitzen ihr kleid faltet diese schärpe wieder zusammenfaltet. an der garderobe frage ich sie ob wir noch einen kaffee trinken gehen. desiree sagt: o.k. aber irgendwo anders bitte.

(Photos: Isa Rosenberger)

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